Liebe Leser,
beim Bummel durch die Hallen auf der Spielemesse 2019 in Essen entdeckte ich aus dem Augenwinkel in Halle 5 ein Spiel, dessen Titel mich kurzzeitig fassungslos machte: „Blitzkrieg. Der Zweite Weltkrieg in 20 Minuten.“ Im ersten Moment war ich einfach nur empört und fragte mich, was ein Spiel mit diesem Titel auf einer Brettspielmesse, deren Zielgruppe vorwiegend Familien sind, verloren hat.
Im Lauf der Messe kam ich mit vielen anderen Menschen ins Gespräch und auch das Spiel „Blitzkrieg“ war dabei Thema. Während mir viele zustimmten und mit deutlicher Empörung kundtaten, dass ein solcher Titel nichts mit der friedlichen Welt der Brettspiele zu tun habe, gaben andere zu bedenken, dass es bereits seit Jahrzehnten Schlachten-Spiele auf dem Markt gibt, die sich teilweise zu Klassikern entwickelt haben. Diese unterschiedlichen Meinungen sind mit ein Grund, warum ich diesen Kommentar recht spät nach der Messe schreibe – ich wollte in Ruhe über das Thema nachdenken und vermeiden, dass es einfach nur ein „Hau-drauf-Kommentar“ wird, bei dem ich meiner Empörung Luft mache.
Vor allem im Hinblick auf die deutsche Historie ist ein Spiel, das den Zweiten Weltkrieg mit dem Untertitel „in 20 Minuten“ verharmlost, definitiv unangebracht. Die Messe ist aber international. Und der Zweite Weltkrieg – so grausam er auch war – wird in anderen Nationen mit anderen Augen gesehen. Vor allem in England sind die sogenannten „Wargames“, also Kriegsspiele, beliebt. Gerade mit dem Thema „Zweiter Weltkrieg“. Auch das genannte Spiel wird von einem britischen Anbieter vertrieben. Das Wort Blitzkrieg wird auf der Insel nicht übersetzt, sondern ist ein Lehnwort aus dem Deutschen. In anderen Ländern werden solche Spiele ebenfalls problemlos als Kriegsspiele bezeichnet. Hierzulande tut man sich damit schwer und benutzt stattdessen die umschreibende Variante „Konfliktsimulationsspiel“. Allein das zeigt, wie sensibel man in Deutschland mit der Historie umgeht. So wirklich durchsetzen konnte sich diese Art Spiele hier nie. Wer daran Interesse hat, muss sie zumeist über den Versandhandel beziehen.
Auch wenn mitunter ein wirklich gutes Strategiespiel hinter einem solchen Kriegsthema steckt, bin ich der Ansicht, dass man dieselbe Strategie auch mit einem Fantasythema umsetzen könnte. Das tut dem Spielspaß keinen Abbruch – aber durch die Verlagerung in eine irreale Welt kommt es nicht zur spielerischen Verharmlosung eines furchtbaren geschichtlichen Ereignisses.
Deutlicher Unterschied zu bekannten Klassikern
Denn genau das unterscheidet „Blitzkrieg“ von den vielen anderen Schlachtenspielen, die im Mainstream-Markt erhältlich sind („Special Interest“ nehme ich ausdrücklich aus – die findet man aber auch nicht auf der Spielemesse). In Gesprächen wurden als Beispiele „Risiko“ (ursprünglich Parker, heute Hasbro) und „Stratego“ (ursprünglich Smeets & Schippers, heute Jumbo) genannt, einige führten gar das Schachspiel als Argument pro „Blitzkrieg“ an.
Diese Vergleiche hinken in meinen Augen jedoch etwas: „Risiko“ stammt aus dem Jahr 1957 und simuliert Kriege zwischen Nationen auf abstraktem Niveau. Trotz des Themas ist „Risiko“ kein Spiel, das den direkten kriegerischen Konflikt simuliert, sondern eher strategische Entscheidungen, diplomatisches Handeln und auch Glück in den Vordergrund stellt. Und trotz dieser nicht sehr kriegerischen Spieltechnik lief das Spiel 1982 in Deutschland Gefahr, auf dem Index zu landen – was nochmals zeigt, wie kritisch man grundsätzlich hierzulande mit dem Thema umgeht. In der Konsequenz musste die Sprache der Spielanleitung geändert werden. Ist in älteren Versionen noch von Eroberung und Vernichtung die Rede, wird inzwischen von Befreiung und Auflösung von Armeen gesprochen. Darüber hinaus bezieht sich „Risiko“ nicht auf ein konkretes historisches Ereignis. Gleiches gilt übrigens für „Stratego“, das sich ebenfalls nicht auf ein konkretes Ereignis bezieht, gleichwohl es während des Zweiten Weltkriegs entwickelt wurde und nur ein Jahr nach dessen Ende auf den Markt kam.
Und genau das ist es, was ich Spielen wie „Blitzkrieg“ vorwerfe: Den konkreten Bezug zur Historie und somit eine spielerische Verharmlosung und Verherrlichung eines historischen Ereignisses, das weltweit für rund 50 Millionen Tote verantwortlich ist. Über Geschmack und Daseinsberechtigungen lässt sich immer trefflich streiten. Der spezielle Spiele-Geschmack einer Minderheit sollte in einem solchen Fall aber hinter dem allgemeinen Tenor zurückstehen.
Meine Meinung ist klar: Auch wenn es eine kleine Zielgruppe für solche Spiele geben mag, haben sie auf einer großen Messe mit der Hauptzielgruppe „Familie“ nichts zu suchen. International hin oder her – in diesem Fall stehen für mich ethische und moralische Interessen vor den wirtschaftlichen.
Ihr Mr. Meeple
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