Der letzte Tag der Internationalen Spieltage Essen ist vorbei. Die 36. Ausgabe der Brettspielmesse „Spiel“ war einmal mehr eine Veranstaltung der Rekorde. Mit 80.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche gab es knapp ein Fußballfeld mehr Platz als im Vorjahr.
als im Vorjahr. 1400 neue Spiele gab es in Essen zu sehen. Unmöglich, alles in ein paar Tagen zu erkunden. Erst recht nicht, wenn man das ein oder andere Exemplar auch anspielen will. Aber glücklicherweise sind auch die Brettspiel-Geschmäcker verschieden. Nicht jede Neuheit interessiert jeden. Während die einen glücklich in den Hallen 4 bis 6 Experten- und Tabletop-Spiele testeten und dabei tief in Fantasiewelten eintauchten, kamen Familien und Gelegenheitsspieler in den Hallen 1 bis 3 und in der Galeria auf ihre Kosten.
Auch die Ausstellerzahl hat sich noch einmal um rund 50 erhöht, von 1100 auf 1150. Und die Anzahl der vorgestellten Neuheiten war ebenfalls größerErstmals wurde während der Messe intensiv über das Brettspiel als Kulturgut gesprochen. Eine vom Friedhelm Merz Verlag organisierte Podiumsdiskussion mit internationalen Branchenvertretern und Spieleautoren befasste sich mit Themen wie dem Spielemarkt der Zukunft sowie der Internationalisierung der Brettspiele ausgehend von den klassischen „German Boardgames“. Auch die Spiele-Autoren-Zunft (SAZ) hatte in Kooperation mit dem Deutschen Kulturrat eine Debatte zum Thema „Kulturgut Spiel“ ausgerichtet, bei der mit Vertretern der Politik die Frage diskutiert wurde, wie das theoretische Bekenntnis zum analogen Spiel als Kulturgut nachhaltig in die Praxis umgesetzt werden kann und welche Fördermöglichkeiten möglich sind.
Die Umsatzzahlen für Brettspiele steigen stetig
Brettspiele sind also ein großes Thema. Ein Nischendasein fristen sie längst nicht mehr. In wirtschaftlicher, als auch in kultureller Hinsicht leben wir mitten im „Goldenen Zeitalter“ der Brettspiele, Kartenspiele und Familienspiele. Das weiß auch Oliver P. Kuhrt, Geschäftsführer der Messe Essen: „Die Brettspielmesse ist bemerkenswert“, sagte er auf der Pressekonferenz. „Insbesondere, weil wir in einem digitalen Zeitalter leben. Aber immer mehr Menschen wollen weg vom Digitalen, zurück zum Analogen. Für sie bedeutet es Entschleunigung.“ Neben der Spiel finden in Essen jährlich 65 Messen mit insgesamt 1,5 Millionen Besuchern statt.
Die wachsende Bedeutung von Brettspielen macht sich auch in den Umsatzzahlen bemerkbar, wie Hermann Hutter, Vorsitzender des Branchenverbandes „Spieleverlage e.V.“ auf der Pressekonferenz bestätigte. „In den ersten acht Monaten dieses Jahres legte der Umsatz mit Spielen um 16 Prozent zu. Das größte Wachstum verzeichneten Familienspiele, die mit 33 Prozent deutlich über der bereits guten Gesamtentwicklung liegen“, erklärte Hutter. Und in diese Zahlen ist das Weihnachtsgeschäft noch nicht eingerechnet. Im letzten Quartal des Jahres macht die Branche etwa 40 Prozent ihres Gesamtjahresumsatzes – bis zum Jahresende sollen in Deutschland rund 50 Millionen Spiele verkauft worden sein.
Schwierig sei es allerdings für den Einzelhandel. Obwohl der Absatz an Spielen steige, sinke bedauerlicherweise die Anzahl der Spielwarengeschäfte. „30 bis 35 Prozent des Umsatzes werden online getätigt“, sagte Hutter. Zum Vergleich: Bei Haushaltswaren sind es 17 Prozent. „German Boardgames“ punkten auch international. Die Branche ist global vernetzt. Das kann allerdings auch Einschränkungen mit sich bringen, wie Hermann Hutter erklärte. „Als Antwort auf die Stahlzölle von Donald Trump wurden durch die EU Spielkarten aus den USA mit zehn Prozent Importzoll belegt.“
Doch wohin geht nun der Trend bei den Brettspielen? Escape-Room-Spiele bleiben beliebt, neu hingegen sind Unique Games, also Spiele, die aufgrund der Zusammenstellung des Spielmaterials einzigartig sind. Premierenspiel dieser Gattung ist „Discover“ (Asmodee). Nicht zu übersehen ist, dass es immer mehr kooperative Spiele gibt. Es wird nicht mehr gegeneinander gespielt, sondern alle agieren miteinander gegen das Spiel. Die Kommunikation steht im Vordergrund. Das Miteinander fördert positive Werte, die wir in der heutigen Gesellschaft sicher gut gebrauchen können: Vertrauen, Rücksichtnahme und Empathie. Apropos Werte: Das von drei Spielekritikern ausgerufene Motto „Spielend für Toleranz“ war auch auf der Messe ein Thema. Das Logo der Initiative gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus war auf T-Shirts, Ansteckern und Plakaten zu sehen. Auch einige Verlage, darunter Amigo, Kosmos und Pegasus bekannten sich an ihren Ständen per Aushang zu dieser Initiative.
Das Spieledorf-Fazit: Viele schöne Familienspiele abseits des Mainstreams
Spielen und noch mehr spielen – das war auch das Spieledorf-Motto in Essen. Auf der Suche nach generationenübergreifenden Spielen für Familien waren wir ein wenig abseits der üblichen Pfade unterwegs und haben uns vor allem bei kleinen Verlagen umgesehen. Unsere Tops und Flops könnt Ihr in einem Extra-Bericht von Mr. Meeple an anderer Stelle nachlesen. Und sonst so?
Am Stand des Zoch-Verlags stand eine Partie „Pechvogel“ auf dem Programm. Ein kleines, aber feines Würfelspiel, bei dem es vor allem auf Glück ankommt. Obwohl man meist Pech hat, je nach Sichtweise. Denn der Name ist Programm. Es gilt, mit einem oder mehreren Würfen möglichst viele gleiche Zahlen zu würfeln, dabei aber nicht drei Pechvögel zu erwischen. Hat man Glück, bekommt man zur Belohnung ein Zahlenplätchen, hat man Pech, bekommt man ein sogenanntes Frustrat (die – nebenbei bemerkt – aus echtem Marmor sind). Und Frustrate steigern die Frust-Rate. Vor allem, wenn man einen guten Wurf hat und die lieben Mitspieler ihre Frustrate einsetzen, um den Wurf zu löschen. Das Spiel bringt Spaß, eine hohe Frustrationstoleranz vorausgesetzt. Denn man hat eigentlich immer mindestens einen Pechvogel im Wurf – Murphy’s Law eben. Vielleicht, weil Zoch auch den Vogel „Murphy“ getauft hat.
Wer beim Spielen nicht nur Spaß haben will, sondern gleichzeitig Konzentration und Arbeitsgedächtnis fordern möchte, für den fand sich am Stand von Biwo-Spiele, der leider etwas versteckt in Halle 5 stand, etwas Passendes: „Capio“. 40 bunte Würfel sowie Karten, die vorgeben, welche Würfel man aus der bunten Mischung herauspicken muss. Das versuchen allerdings alle Spieler gleichzeitig. Die Aufgabenkarten lassen sich im Schwierigkeitsgrad steigern. Muss man auf den einfachen Karten „nur“ Würfel in passender Farbe und Augenzahl suchen, wird es bei den schwierigeren Karten deutlich vertrackter: Mal zählt zum Beispiel die abgebildete Farbe, mal das abgebildete Farbwort. Auf wieder anderen Karten muss man eine aufsteigende Reihe bilden, zwingend in der zur Abbildung passenden Farbe. Bei „Capio“ ist definitiv Konzentration gefragt. Weil jedoch alle gleichzeitig spielen, bekommt das Spiel eine schöne Aktionskomponente. Falsch abgelegte Würfel bringen am Ende Minuspunkte, gleiches gilt für nicht belegte Karten.
Apropos Minuspunkte: Auch das schien ein Trend in Essen zu sein. Bei vielen Spielen brachten nicht erfüllte Aufgaben oder Fehler Minuspunkte. Klar, das Prinzip gibt es schon länger. Aber in dieser Menge ist es bislang nicht aufgefallen: Sei es bei „Team up“ (Helvetiq), „Blöde Kuh“ (Drei Hasen in der Abendsonne) oder „Doodle Rush“ (Game Factory), um nur einige zu nennen.
Spiele für schnelle Reaktion, Konzentration und Gedächtnis
Bei Huch! lockte „Twin it!“, ein flottes Reaktionsspiel. Jeder Spieler erhält einen Stapel Karten, die reihum aufgedeckt werden. Entdeckt ein Spieler zwei identische Karten, muss er beide mit den Fingern berühren und kann sie dann sein Eigen nennen. Kartenpaare müssen so abgelegt werden, dass sie nicht verdeckt sind. Denn – und das ist die Besonderheit – auch bereits gefundene Paare sind noch im Spiel. Einige Motive gibt es dreimal. So kann ein Spieler durchaus ein Kartenpaar verlieren, wenn plötzlich das dritte Motiv auftaucht. Der Clou: Auch die obersten Karten der Nachziehstapel dürfen geschnappt werden. Ansprechend ist der Retrolook der Karten. Dieser erinnert an die psychedelischen Muster der 60er- und 70er-Jahre. Da sich diese Motive oft sehr ähnlich sehen, erhöht sich im Spielverlauf der Schwierigkeitsgrad deutlich.
Ein deutlich ruhigeres Spiel, für das aber nicht weniger Konzentration vonnöten ist, ist „Rukuni“ von Gerhards Spiel und Design. Es gilt, rote Spielsteine (Türme) über ein Brett zu ziehen und diese im Anschluss mit eigenen Spielsteinen einzukreisen. Klingt einfach, doch da der Gegner die gleiche Absicht hat, muss jeder Spielzug gut überlegt werden. Denn am Ende zählt nicht, wie viele Türme eingekreist wurden, sondern die Punkte errechnen sich anhand der Menge der Spielsteine, die zusammenhängend an den Turm angrenzen. Das Zwei-Personen-Spiel ist für Erwachsene und Kinder ab acht Jahren geeignet. Besonders ansprechend ist die Optik: ein schlichtes Buchenholzbrett sowie rote, graue und weiße Spielsteine.
Am Stand von Igel Spiele gab es kleine kompakte Spiele, die sogar in die Hosentasche passen. „Wunschmaschine 2.0“ ist ein bekanntes Spiel im neuen Format, dessen Mechanismus jedoch deutlich verbessert wurde. Neu hingegen ist „Mount Memo“, ein Memory-Spiel bei dem es auch um schnelle Reaktionen geht. Vier Karten geben vor, was gesucht wird. Vom Nachziehstapel werden dann nach und nach Karten aufgedeckt und übereinandergelegt. Die Spieler müssen sich merken, welches Motiv der Kartenvorgaben sie schon wie oft gesehen haben. Ist die vorgegebene Menge erreicht, müssen sie die Hand schnell auf den Kartenstapel legen. Kontrolliert wird erst am Ende des Spiels. Zur Belohnung gibt es echte Kieselsteine als Siegpunkte. Ein wirklich sehr schönes Memospiel für Familien, das auch für unterwegs bestens geeignet ist.
Das alles ist nur eine winzig kleine Auswahl dessen, was wir gesehen haben und eine noch kleinere Auswahl dessen, was es überhaupt gab. Der vorab erstellte Hallenplan mit den zu besuchenden Ständen hatte sich quasi am ersten Tag erledigt. Schon nach kurzer Zeit war klar, dass die Planungen in der Form nicht zu schaffen sind. Sich treiben lassen war die bessere Alternative. Manches hat man dadurch leider nur aus dem Augenwinkel entdeckt, dabei vielleicht einige Highlights verpasst. Umgekehrt hat man so Dinge gesehen und gespielt, die man im wahrsten Wortsinn gar nicht auf dem Plan hatte.
Veranstalter verkünden ein neues Rekordergebnis
Am Ende der vier Tage konnten die Veranstalter des Friedhelm Merz Verlags einmal mehr einen neuen Rekord verkünden: 190.000 Menschen haben in diesem Jahr die Internationalen Spieltage besucht. Im Vorjahr waren es „nur“ 182.000. „Dass wir so viele begeisterte Besucher aus aller Welt anziehen und so viele wunderbare Spiele präsentieren können, zeigt, dass wir in einem goldenen Zeitalter der Gesellschaftsspiele leben“, sagte Dominique Metzler, Geschäftsführerin des Friedhelm Merz Verlags.
Save the Date: Die nächsten Internationalen Spieltage Spiel '19 finden vom 24. bis 27. Oktober in der Messe Essen statt.
Unsere Live-Tweets von der Messe könnt Ihr hier nachlesen.
Eine Bildergalerie von Neuheitenschau und Messe gibt es natürlich auch.
Fotos: © Redaktion Spieledorf